Baubranche in der Krise? – Herausforderungen für die energetische Sanierung
Immer häufiger prägen globale Krisen und gesellschaftliche Umbrüche unsere Lebenswelt – und führen auch in der Baubranche zu einer deutlichen Entwicklung. „Der Bausektor steht vor enormen Herausforderungen: Wirtschaftskrise, Klimaschutz, Wohnraumknappheit und steigender Wohnkomfort sind nur einige der Aufgaben, die es zu bewältigen gilt“, erklärt Jan Peter Hinrichs, Geschäftsführer des Bundesverbands energieeffiziente Gebäudehülle e.V. (BuVEG). Gefragt sind dabei nicht nur intelligente Neubauten, sondern vor allem der verantwortungsvolle Umgang mit dem Bestand. Denn nachhaltiges Bauen bedeutet, vorhandene Strukturen ressourcenschonend weiterzuentwickeln und den begrenzten Raum effizient zu nutzen.

Besonders relevant ist das, weil der Gebäudesektor in Deutschland seit Jahren die CO₂-Einsparziele der Bundesregierung verfehlt – bei einem Anteil von rund 30 Prozent an den gesamten Emissionen. Energetische Sanierung, Ertüchtigung und Modernisierung rücken damit ins Zentrum des architektonischen Handelns – ein komplexes Aufgabenfeld, das unter ökologischen, ökonomischen und sozialen Aspekten immer mehr Gewicht bekommt. Besonders Architekten sind gefordert, kreative und verantwortungsbewusste Konzepte zu entwickeln, um mit dem Bestehenden zukunftsfähigen Raum zu schaffen.
Warum sanieren? – Sanierungsquote und Klimaziele
Vor diesem Hintergrund haben wir Jan Peter Hinrichs gefragt, warum Sanieren vor allem jetzt sinnvoll ist. „Der aktuelle Stand der Sanierungsquote in Deutschland ist alarmierend niedrig. Mit nur etwa 0,69 Prozent jährlich wird nur ein Bruchteil des Gebäudebestands energetisch modernisiert. Besonders bei Ein- und Zweifamilienhäusern besteht ein erheblicher Nachholbedarf, da hier die energetische Sanierung oft vernachlässigt wurde. Die Folgen sind deutlich: Hoher Energieverbrauch, steigende Kosten und eine zunehmende Belastung der Energienetze“, erklärt der Experte.
Diese Zahlen sind vor allem erschreckend, wenn man in die Vergangenheit und Zukunft blickt: Noch 2022 lag die Sanierungsquote bei 0,88 – besser als heute, doch immer noch zu gering. Denn um die Klimaziele 2030 und Klimaneutralität zu erreichen, muss die Quote mindestens auf 2 Prozent steigen. Gründe für den Rückgang sind vor allem Energiekrisen, hohe Inflationsraten und steigende Zinsen, die Unsicherheiten auslösten und so höhere Investitionen verhinderten – das spiegelt sich auch in den sinkenden Neubauzahlen wider.
Hinrichs macht klar: „Ohne eine beschleunigte Sanierungsrate drohen ab 2027 durch den EU-Emissionshandel im Wärmebereich massive finanzielle Mehrbelastungen, insbesondere für Eigentümer und Bewohner energetisch schlechter Gebäude. Es besteht also akuter Handlungsbedarf, um die Klimaziele zu erreichen und die Energiewende voranzutreiben.“

Was ist überhaupt Sanierung?
Sanierung ist in aller Munde. Doch was versteht man darunter und welche Unterschiede gibt es zur Renovierung oder Modernisierung? All das erfahren Sie in diesem Beitrag.
Was sagt die Politik zur energetischen Sanierung?
Um diese Zahlen für energetische Sanierung zu erreichen, braucht es unterschiedlicher Maßnahmen durch die Politik. Jan Peter Hinrichs erklärt: „Auf politischer Ebene sind bedeutende Weichen gestellt. Die EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) fordert eine stärkere Förderung von Sanierungen, wobei die nationale Umsetzung noch aussteht. Die geplante Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) soll diese Vorgaben ergänzen, Details sind jedoch noch offen.“ Gemeint sind politische Maßnahmen, mit denen die Klimaziele im Gebäudesektor erreicht werden sollen. Dazu zählen unter anderem die verpflichtende Sanierung der energetisch schlechtesten 16 % der Wohngebäude, die Einführung einheitlicher Energieeffizienzklassen, emissionsfreie Neubauten sowie neue Instrumente wie Sanierungsfahrpläne.

Viele dieser Vorgaben befinden sich derzeit noch in der politischen Abstimmung – und genau diese Unklarheit führt in der Praxis zu spürbarer Zurückhaltung. Hinrichs fährt fort: „Gleichzeitig haben Zinsschwankungen, hohe Baupreise und widersprüchliche Signale aus der Politik in den vergangenen Jahren zu einer Art ‚Attentismus‘ geführt – Eigentümer zögern, Investitionen in Sanierungen vorzunehmen.“ Diese Unsicherheit hält demnach wichtige Schritte in Richtung der energetischen Sanierung auf, die gerade jetzt dringend nötig sind, wie die Sanierungsquote zeigt.
Vorteile der Sanierung – Warum Sanieren die Baubranche verbessert
Zwei Drittel aller Wohngebäude in Deutschland liegen noch heute in den niedrigen Effizienzklassen D bis H, während Gebäude der Klassen G und H allein rund die Hälfte des gesamten Energieverbrauchs im Gebäudesektor verursachen. „Sanierungen sind deshalb ein zentraler Baustein im Kampf gegen den Klimawandel. Sie verbessern die Energieeffizienz der Gebäude, reduzieren den CO₂-Ausstoß und tragen maßgeblich zum Klimaschutz und Wirtschaftswachstum bei. Für Eigentümer bieten sich dabei vielfältige Vorteile einer Sanierung“, erzählt uns Hinrichs. Laut ihm gibt es demnach wichtige Gründe, warum Sanieren sinnvoll ist:

- Niedrigere Betriebskosten: Energieeffiziente Gebäude verbrauchen weniger Energie, was sich direkt in geringeren Heizkosten niederschlägt.
- Unabhängigkeit von Energiepreisschwankungen: Besonders in Zeiten schwankender Energiepreise schützen eine gute Dämmung, energieeffiziente Türen und Fenster sowie moderne Heiztechnik vor unerwarteten Kostensteigerungen.
- Verbesserter Wohnkomfort: Eine energieeffiziente Immobilie sorgt für ein angenehmes Raumklima und erhöht den Wohnwert. Darüber hinaus bietet sie infolge von Verschattungsvorrichtungen und einer verbesserten thermischen Isolation eine höhere Resilienz gegenüber zunehmenden Naturereignissen wie Hitzewellen.
- Wertsteigerung: Sanierte Immobilien sind attraktiver auf dem Markt und bieten eine bessere Wertentwicklung – ein wichtiger Aspekt für die Altersvorsorge vieler Eigentümer.
- Positive Effekte auf die Energienetze: Durch die Reduktion des Energiebedarfs können Netze entlastet und Investitionen entsprechend geringer kalkuliert werden. Das spart unzählige Milliarden und sorgt für eine effizientere Nutzung der Ressourcen. Zudem verringert die energetische Optimierung die Abhängigkeit Deutschlands von teuren Energieimporten.
- Wirtschaftliche Impulse: Durch Sanierungstätigkeiten entstehen positive Effekte auf den Arbeitsmarkt sowie eine Stärkung des Binnenmarktes. Durch eine steigende Nachfrage nach ressourcenschonenden Lösungen werden auch Hersteller kreativ und entwickeln innovative Produkte für die Entwicklungen der Baubranche.
Warum Sanieren Herausforderungen mit sich bringt

Wenn es so viele positive Effekte gibt, warum zögern Planer und Eigentümer oft noch mit der Sanierung? Auch hierauf hat Jan Peter Hinrichs die passende Antwort: „Trotz der offensichtlichen Vorteile bestehen erhebliche Hürden. Viele Eigentümer verfügen nur über unzureichendes Wissen über Einsparmöglichkeiten und überschätzen oft die energetische Qualität ihrer Immobilien. Der Fokus liegt häufig nur auf dem Heizungstausch. Da spielt die Gebäudehülle eine ebenso entscheidende – wenn nicht sogar wichtigere Rolle: Ohne eine umfassende Sanierung bleiben die CO₂-Einsparpotenziale moderner Heizungen ungenutzt.“
Viele Debatten konzentrieren sich derzeit auf den sogenannten Fuel Switch – also die Umstellung der Wärmeversorgung auf Strom. Diese Maßnahme allein reicht jedoch nicht aus: Es braucht einen ausgewogenen Mix, der auch auf Verbrauchsreduktion und eine leistungsfähige Gebäudehülle setzt, um Netze zu entlasten und Energiesicherheit zu gewährleisten.
Hinrichs erklärt weiter: „Hinzu kommt die Unsicherheit durch unklare Förderprogramme und eine unzureichende politische Kommunikation. Die Debatte um das ‚Heizungsgesetz‘ hat das Vertrauen in Sanierungsmaßnahmen erschüttert. Viele Eigentümer sind verunsichert, welche Förderungen ihnen zustehen und wie sie die Sanierung finanzieren können.“
Sanierungsquote steigern – Entwicklung der Baubranche fördern
Um den Weg zwischen Vorteilen und Hürden der Sanierung zu navigieren, braucht es demnach Unterstützung, erklärt Hinrichs: „Um die Sanierungsquote zu erhöhen, sind klare politische Rahmenbedingungen notwendig. Die Umsetzung der EU-Gebäuderichtlinie bietet eine Chance, die Sanierungsrate zu steigern. Es braucht Planungssicherheit für Unternehmen und Privatpersonen. Ebenso wichtig sind eine gezielte Informationskampagne, die sich auf Ein- und Zweifamilienhäuser konzentriert, sowie eine gleichberechtigte Förderung von Gebäudehülle und Gebäudetechnik, um das bestehende Ungleichgewicht bei den Fördersätzen zu beenden. Steuerliche Anreize und die stärkere Einbindung privaten Kapitals sind ebenfalls essenziell.“
Jan Peter Hinrichs, Geschäftsführer des BuVEG, hat demnach einen wichtigen Appell an alle Planer und Architekten: „Die aktuelle Sanierungsquote von 0,69 Prozent muss dringend erhöht werden. Andernfalls drohen schon bald signifikante Mehrbelastungen, insbesondere für Eigentümer und Bewohner energetisch schlechter Immobilien – sogenannter Worst Performance Buildings.“ Doch auch die Politik muss laut Hinrichs einen wichtigen Teil beitragen: „Die bestehende Bau- und Sanierungskrise muss dringend überwunden werden. Deutschland benötigt volkswirtschaftliche Impulse. Die Steigerung der Sanierungstätigkeit könnte ein wichtiger Mosaikstein sein, um die Konjunkturmotor anzuwerfen.

Aus diesem Grund sollten Gelder aus dem geplanten Sondervermögen der neuen Bundesregierung auch dafür genutzt werden, Energieeffizienz im Gebäudesektor zu forcieren. Denn eines ist klar: Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz sind keine Gegensätze, im Gegenteil: Sie bedingen einander.“