RWA für Großprojekte


Große Bauvorhaben bergen häufig besondere Herausforderungen in Bezug auf Rauch- und Wärmeabzugsanlagen (RWA). Diese individuellen Anforderungen wollen bedient werden – weltweit.


Lesezeit: 6:30 Min.

RWA-Anlagen in der Praxis

Carsten Ficker Leiter LAMILUX Academy auf digitalBAU mit zwei Messestandsbesucherinnen | insights by LAMILUX

Bei Rauch- und Wärme­abzugs­anlagen, so­genannten RWA-Anlagen, ist es immer ein Wechsel­spiel von An­forder­ungen, besonderen Er­schwern­issen und Lösungs­möglich­keiten, die im kon­kreten Einsatz­fall ab­gewogen werden müssen. Denn auch größte Objekte und beste Budgets unter­liegen letzt­lich den Grenzen der Physik. Ins­besondere der Einfluss des Windes auf den natür­lichen Rauch­abzug wird oft über­sehen. Aber auch andere phy­si­kalische Grenzen im Bereich der Mechanik lassen sich nicht endlos ver­schieben. Pauschale Regeln lassen sich nicht ab­leiten, aber mit dem Wissen, was alles gehen könnte, findet sich die jeweils opti­male Lösung. Die folgenden Groß­projekte zeigen ty­pische Heraus­forder­ungen und Lösungs­ansätze: ein Bericht über RWA-Anlagen in der Praxis von LAMILUX Academy Leiter Carsten Ficker.

640 RWA-Flügel auf Nuovo Centro Congressi in Rom

Glasdach des Nuovo Centro Congressi während der Bauphase | insights by LAMILUX

Vom römischen Star­archi­tekten Massimiliano Fuksas kam der auf­sehen­erregende Ent­wurf zum Kon­gress­zentrum in Rom, dessen zentrales Element „Die Wolke“ ist. Die namens­gebende Form bildet ein von einer Membran um­hülltes Stahl­konstrukt. Sie schwebt scheinbar in einem riesigen Quader aus Stahl und Glas (175m x 70m x 40m) und beher­bergt die Tagungs­räume für bis zu 1800 Personen. Ergänzt wird das Ensemble vom an­grenzenden Kongress­hotel.
Im 12.000 Quadrat­meter großen Dach des Glas­quaders sind 640 RWA- und Lüftungs­flügel von zum Teil enormer Größe. Im wahrsten Sinne er­schwerend hinzu kam der Einsatz einer speziellen Ver­glasung mit sehr hohem Flächen­gewicht. Die größten Flügel waren so etwa 4,5 Quadrat­meter groß und circa 250 Kilo­gramm schwer.

Bau des Glasdach auf dem römischen Kongresszentrum | insights by LAMILUX

Nicht nur an die Er­richtung, sondern auch an die über die Nutzungs­dauer er­forder­liche regel­mäßige Wartung war zu denken. Diese wird neben den enormen Flügel­maßen dadurch erschwert, dass die NRWG (Natür­liche Rauch- und Wärme­abzugs­geräte) im Glas­dach nicht ohne Weiteres von unten zugäng­lich sind. Die An­forder­ungen schienen zwar zunächst hoch, die enorme Flügel­anzahl eröffnete jedoch auch besondere Möglich­keiten.
Eine gezielte Produkt­ent­wicklung und Prüfung in diesem Umfang wäre bei kleineren Auf­trägen nicht wirt­schaft­lich machbar. Bei diesem Kongress­zentrum lag es aber gut im Bereich des Ver­tret­baren, da sich die Kosten, auf so viele Geräte ver­teilt, ver­träglich zeigten.

Vorbeugender Brandschutz auf der Messe in Hamburg

Drohnenfoto der Neuen Messe Hamburg mit Blick auf Glasdach und RWA-Anlagen | insights by LAMILUX

Die Neue Messe Ham­burg bietet in 11 Messe­hallen 87.000 Quadrat­meter Aus­stellungs­fläche. Rund 40 Messen locken jährlich knapp 12.000 Aus­steller und gut 700.000 Gästen nach Hamburg. Etwa 20 Meter breite Tonnen­dächer über­dachen die Messe­hallen und sind mit Alu­minium-Steh­falz­bahnen auf einem hölzernen Trag­werk gedeckt. Insgesamt wurden 315 Licht­kuppeln als NRWG ein­gebaut, wobei zwei Zusatz­funk­tionen mit der RWA-Funktion in Ein­klang zu bringen waren: Insbe­sondere der Wunsch nach einem ver­stell­baren Sonnen­schutz, der wahl­weise von Licht­lenkung über Ver­schattung bis hin zu an­nähernder Ver­dunkel­ung fun­gieren sollte, stellte eine Heraus­forder­ung dar. Hinzu kam die mehr­stufige Lüftung für Schön- und Schlecht­wetter mit teil­weise enormen Lüftungs­hüben bis 1100 Mil­limetern.

Glasdach der Neuen Messe Hamburg von innen mit Blick auf NRWG | insights by LAMILUX

Die Basis bildete zunächst ein Standard-Licht­kuppel-NRWG in der Größe 180cm x 250cm. In dessen Kuppel­ober­teil wurde ein eigens dafür ent­wickeltes leich­tes Sonnen­schutz­lamellen­system inte­griert. Die Lüftung wurde mit mehr­stufigen Pneu­matik­zylindern reali­siert, die in ihren funktions­rele­vanten Teilen bau­gleich mit den Ge­prüften sind.
Durch eine eigens ent­wickelte weg­gebundene Führung werden die Ver­riegelungs­bolzen in jeder beliebigen Lüftungs­stellung exakt auf der Kreis­bahn des Ver­riegelungs­schlosses im Kuppel­ober­teil gehalten. Damit wird insbesondere das schwierige Ein­koppeln beim Schließen aus der RWA-Stellung mit aus­gefahrenen Lüftungs­zylindern sicher gewähr­leistet.

Sonderkonstruktionen auf der BMW-Welt in München

Sonderkonstruktionen der NRWG auf dem Dach der BMW-Welt in München | insights by LAMILUX

Die BMW-Welt in München wurde als Be­gegnungs­stätte des Unter­nehmens mit seinen Kunden und Gästen konzi­piert. Die extra­vagante Archi­tektur ist Teil dieses Konzepts und prägt natürlich auch die Dach­konstruk­tion mit den darin befind­lichen NRWG. Die aus dem form­gebenden Doppel­kegel ent­spring­ende 16.000 Quadrat­meter große Dach­wolke wird von nur zwölf Pendel­stützen ge­tragen und ver­mittelt einen schwe­benden Ein­druck. In 30 Metern Höhe wird so eine Fläche über­spannt, die etwa dem Markus­platz in Venedig ent­spricht.

Der An­spruch der Planer und Bau­herren bestand darin, die nötigen NRWG von außen un­sicht­bar ins Dach zu inte­grieren. Nicht mehr und nicht weniger. Als Basis dienten speziell für dieses Projekt ent­worfene NRWG, die als Tandem funk­tio­nieren und um 120° öffnen. Sie wurden flächen­bündig in die äußere Dach­haut ein­gelassen und material­gleich be­kleidet. Die sich daraus er­gebenden nega­tiven Ein­flüsse von Seiten­wind auf die Wirk­sam­keit des Rauch­abzuges wurden durch gegen­über­liegende An­ordnung als Doppel­klappe für best­möglichen Wind­schutz kompen­siert.

Doppelklappen NRWG auf den Arkaden in Aachen

Innenansicht des Glasdachs in den Aachen Arkaden | insights by LAMILUX

Das Einkaufs­zentrum in Aachen Arkaden beher­bergt etwa 50 Geschäfte und 800 Park­plätze. Die zentrale Mall wird von einem licht­durch­lässigen Membran-Tonnen­dach mit 16 Metern Breite und 113 Metern Länge über­spannt. Neben den mecha­nischen Schnitt­stellen waren vor allem aero­dynamische Probleme zu lösen. Es erwies sich kon­struktiv als not­wendig, die NRWG am Trauf­rand der Membran­bögen anzu­ordnen. Das machte weniger, aber dafür größere Geräte erforder­lich und zog einige Probleme bezüglich der Funktion bei Seiten­wind nach sich. Doch nur so konnte die insgesamt erforder­liche Rauch­abzugs­fläche allein am Tonnen­rand unter­gebracht werden. Dafür wurden die die 44 Doppel­klappen-NRWG paar­weise an­geordnet.

Ein solches 4-Flügel­feld verhält sich aller­dings aero­dynamisch anders als die Summe der beiden Doppel­klappen. Insbe­sondere der Ein­fluss von Seiten­wind, die erforder­liche Wind­leitwand­höhe und sich daraus er­gebende höhere Mindest­abstände sind schwer ab­zuschätzen. Diese Zusammen­hänge wurden in Ver­suchen nach EN 12101-2 geprüft. Im Ergebnis wurden höhere Wind­leit­wände ein­gesetzt, die wiederum größere Geräte­abstände erforder­lich machten. Nur mittels profes­sioneller Ver­suche und sach­kundiger Beur­teilung sind die Aus­wirkungen des Windes auf die Wirk­sam­keit von NRWG kalku­lierbar, wenn von den ge­prüften und ge­normten Aus­führungen und Ab­ständen ab­gewichen werden soll. 

Rauchabzug in der Rhein-Galerie in Ludwigshafen

Glasdach mit NRWG-Doppelklappen auf der Rhein-Galerie in Ludwigshafen | insights by LAMILUX

Die Rhein-Galerie in Ludwigs­hafen ist eine 330 Meter lange Shopping-Mall mit 130 Geschäften und 1400 darüber liegenden Park­plätzen. Über 2.900 Quadrat­meter ellip­tische Glas­dach­konstruk­tionen wurden im Jahr 2010 er­richtet. Sie fluten die Mall mit reich­lich Tages­licht und sorgen für natür­liche Lüftung und Rauch­abzug.

Die erste Heraus­forderung bestand in der lokalen Kon­zentra­tion der RWA-Flächen, die sich aus dem archi­tekt­onischen Konzept ergab. Hinzu kamen hohe op­tische An­sprüche und der damit ver­bundene Wunsch auf Wind­leit­wände zu ver­zichten.

Glasdach der Rhein-Galerie Ludwigshafen mit geöffneten NRWG | insights by LAMILUX

In die Glas­dach­konstruk­tion wurden 100 NRWG inte­griert. Eine redundant auf­gebaute Druck­luft­anlage mit circa 20 bar liefert die Energie für die RWA-Funktion und er­möglicht zen­trales Öffnen und Schließen ohne Ver­brauch von CO2-Flaschen.

Eine komp­lexe ver­netzte Steuer­ung aus einer RWA-Haupt­zentrale und vier RWA-Unter­zen­tralen mit Prio­ritäten­verschal­tung von Ent­rauchungs­tableaus, BMA, GLT und Hand­bedien­stellen sorgt für ein effek­tives Zu­sammen­wirken aller RWA- und Lüftungs­öffnungen im gesamten Objekt in jedem Betriebs­zustand. So gelingt vor­beugender Brand­schutz mit RWA-Anlagen in der Praxis.