Heilende Architektur mit Tanja C. Vollmer
„Healing Architecture“, also heilende Architektur ist ein Konzept, welches sich mit der Gestaltung von Gebäuden und Räumen befasst, die das Wohlbefinden und die Gesundheit der Menschen fördern sollen. Seit 2006 gewinnt dieser Begriff, aus Nordamerika stammend, auch in Europa immer mehr an Bedeutung. Tanja C. Vollmer ist Architekturpsychologin, eine der Gründerinnen und Wissenschaftliche Direktorin von Kopvol architecture & psychology. Sie beschäftigt sich mit der Wirkung der gebauten Umwelt auf den Menschen, betrachtet, wie heilende Architektur auf dessen Denken, Fühlen und Handeln wirkt. In der von ihr kuratierten Ausstellung des TUM Architekturmuseums: „Das Kranke(n)haus - wie Architektur heilen hilft“ möchte Sie mehr Bewusstsein für dieses sensible Thema schaffen und Architektinnen und Architekten sowie Auftraggebende und Politik dazu ermutigen, in eine visionäre Zukunft zu blicken, in welcher der kranke Mensch im Fokus der Architektur stehen soll. Im Interview spricht Sie über Ihre Forschungsergebnisse, zeigt auf, wie heilende Architektur in Gesundheitsbauten umgesetzt werden kann und welche Rückstände nach wie vor herrschen.
Psychologie und Architektur: Warum gesunde Architektur weit mehr ist als Gestaltung
Welche Rolle spielt Psychologie ganz allgemein in der Architektur?
Auf Seiten derer, die die Architektur erfahren und wahrnehmen, also den sogenannten Nutzern, spielt Psychologie für die gesunde Architektur eine sehr große Rolle. Wir alle wissen, wie es ist, sich in einem ungemütlichen Raum aufzuhalten. Man fühlt sich dort nicht wohl, findet seinen Platz nicht, möchte hier nicht sein. Dieses Gefühl kann sich auf sehr Vieles auswirken:

Was ich sage oder gerade nicht mehr sage, ob ich versteckt in einer Ecke stehe oder mich selbstbewusst zeige. Anders sieht das zum Beispiel im Lieblingsrestaurant aus. Dort wählt man doch in der Regel immer die gleiche Sitzecke aus, die man irgendwann mal als ganz besonders angenehm bewertet hat. Leider spielen die Hintergründe dieser Raumempfindungen auf Seiten der Architektinnen und Architekten noch immer keine wirklich große Rolle beim Entwerfen. Mit meiner langjährigen Gastprofessur an der TU in München vertrete ich daher ein Pionierfeld auf dem Gebiet der Architekturpsychologie und versuche es deutschlandweit in Lehre und Forschung breiter zu verankern.
Wie heilende Architektur entstand
Wie kam es dazu, dass Sie sich so intensiv mit dem Thema heilende Architektur beschäftigen? Gab es für Sie ein Schlüsselerlebnis?
Ja, das gab es tatsächlich. Damals war ich selbst noch klinische Psychologin im Universitätsklinikum Großhadern. Ich sollte die Projektleitung des Baus eines psychoonkologischen Zentrums für Krebspatientinnen und -patienten übernehmen. Als Wissenschaftlerin und Therapeutin hatte ich bereits im Vorfeld viel mit diesem Klientel gearbeitet und in Therapiesitzungen häufig Sätze gehört wie: „An Tagen, an denen es mir besonders schlecht geht, habe ich das Gefühl in ein tiefes, dunkles Loch zu fallen.“ Oder: „Ich fühle mich, als würde ich vor einer Wand stehen.“ Diese kranken Menschen, denen es nicht nur physisch, sondern auch psychisch schlecht ging, haben also sehr häufig Metaphern verwendet, die räumlich waren. Ich dachte mir, wenn für diese Patientinnen und Patienten alles schon so dunkel erscheint, dann muss das Gebäude, das sie umgibt, doch heller und der Außenraum stärker eingebunden werden. Bei einem Forschungsaufenthalt in den USA bin ich dann zufällig auf den Begriff der heilenden Architektur und des „evidence based design“, also der gesundheitswirksamen Architektur gestoßen. Diese Art über gesunde Architektur nachzudenken, hat mich danach einfach nicht mehr losgelassen.
Architektur für die Gesundheit: Kann Krankenhaus Architektur heilen?
Kann Architektur kranke Menschen wirklich heilen oder zumindest heilend wirken?
Nein, also es gibt weltweit keine Studie, die belegt, dass Krankenhaus Architektur heilen und damit wirklich eine Operation oder ein Medikament ersetzen kann. Aber sie kann die Heilung Kranker definitiv unterstützen, zum Beispiel durch ein Design, das Kriterien verwendet, die bewiesenermaßen auf das Heilungsgeschehen Einfluss nehmen. Ich verdeutliche Ihnen das mit einem Beispiel:
Wenn jemand ins Krankenhaus kommt und sehr viel Angst hat, dann beträgt seine Aufmerksamkeitsspanne nur 3 Minuten, das heißt, komplizierte Leitsysteme, durch Pfeile, besondere Farben, Striche auf dem Boden oder womöglich noch zusätzliche Kärtchen in der Hand, sind verwirrend und steigern die Angst der Patientinnen und Patienten. Kollegen konnten beweisen, dass ängstliche Menschen, aufgrund all dieser Reize, bei Arztgesprächen schlechter zuhören können oder Therapien schlichtweg abbrechen. Sie sehen, auf diesem Weg nimmt die Architektur von Gesundheitseinrichtungen Einfluss auf kranke Personen: Sie steigert oder senkt das Stresslevel. Letzteres nennen wir „heilende“ oder kurative Architektur.

Studien über heilende Architektur
Auch Sie haben schon einige Studien durchgeführt, zum Beispiel die Rotterdam Studie. Welche Studienergebnisse haben Sie dabei erzielt?
Die Rotterdam Studie ist die Grundlage des Buches „Architektur als zweiter Körper“, welches ich 2022 gemeinsam mit Gemma Koppen veröffentlicht habe. Das Buch diskutiert unsere Erkenntnisse der letzten 15 Forschungsjahre vor dem Hintergrund anderer internationaler Studien und verfestigt unsere zentrale wissenschaftliche Erkenntnis:

Heilende Architektur kann wie ein zweiter Körper auf Patientinnen und Patienten wirken! Sie kann Schutz- und Wohlfühlraum geben, der dringend notwendig ist, wenn der eigene Körper-Raum oder die eigene Seele schwer erkranken. In der Rotterdam Studie konnten wir 2010 zum aller ersten Mal beweisen, dass die Stresswahrnehmung schwerstkranker und todeskonfrontierter Menschen überhaupt mit der Krankenhausumgebung zusammenhängt. In den Jahren danach, konnten wir zeigen, dass die bereits damals entschlüsselten Faktoren der Krankenhaus Architektur, tatsächlich einen messbaren Einfluss auf die Stresswahrnehmung der Patientinnen und Patienten haben. In 2022 gelang schließlich der wissenschaftliche Durchbruch und wir konnten sieben Wirkfaktoren definieren, die wir seit der Münchner Ausstellung als „Heilende Sieben“ bezeichnen.
Darunter versteht man Umgebungsvariablen, die, wenn sie bei der Gestaltung der Räume und Krankenhaus Architektur eingebunden werden, einen positiven Einfluss auf die Stresswahrnehmung Schwerstkranker haben. Es handelt sich hierbei um Orientierung, Geruchskulisse, Geräuschkulisse, Privatheit und Rückzugsräume, Aussicht und Weitsicht, sogenannten Powerpoints und das menschliche Maß.
Beispiele der Krankenhaus Architektur: Die heilenden Sieben
Können Sie einige Praxisbeispiele nennen, wie Sie selbst diese heilenden Sieben schon architektonisch in Gesundheitsbauten umgesetzt haben?
Unser Büro Kopvol architecture & psychology, welches ich gemeinsam mit meiner niederländischen Kollegin, der Architektin Gemma Koppen, in den Niederlanden gegründet habe, ist 2008 als Forschungs- und Entwurfsbüro gestartet. Zu Beginn haben wir auf diesem Gebiet zunächst einmal sehr viel geforscht, da es relativ wenig Wissen über heilende Architektur gab. Nach und nach haben wir allerdings immer mehr Erkenntnisse dahingehend gesammelt und dann natürlich auch in die Praxis umgesetzt.
In der Klinik in Arlesheim, einer anthroposophische Klinik in der Schweiz, haben wir gleich fünf Variablen der heilenden Sieben im ganzen Gebäude umgesetzt.

Die Patientenzimmer zum Beispiel wurden mit einer Deckenschräge entworfen und der Patient kann sein Bett und auch die komplette Technik entlang dieser verschieben. Je nachdem wie er sich fühlt, kann er entweder nah am Fenster und unter einer niedrigen Decke liegen. Hier ist also der Genesungsfaktor “Aussicht und Weitsicht“ wichtig. Oder mit ansteigender Decke und Raumhöhe kann der Patient, der sich gesundheitlich besser fühlt und sich aufrichten möchte, sich mehr zum Ausgang und Badezimmer hin orientieren. Hier ist der Genesungsfaktor „Powerpoint“ von Bedeutung. Das Gefühl, sich im Zimmer geborgen zu fühlen, bleibt immer gleich, da – wie gesagt – die Decke schräg verläuft. Dabei ist entscheidend, dass wir auch tief im Raum, Richtung Ausgang, das Tageslicht nicht vergessen. Wir haben das in dieser Klinik durch ein Oberlicht gelöst und kreieren eine Art Höhle, in welche noch Licht hinein scheint. Der Patient nimmt die Wärme von oben wahr, sieht den Wolkenzug, ein Spiel aus Licht und Schatten. Das Rollo des Zimmerfensters muss also nicht geschlossen werden und wir vermeiden, dass der Patient, wie oben bereits erwähnt, vor einer metaphorisch verschlossenen und genesungsschädlichen Wand liegt.
Gestaltung der gesunden Architektur
Können Sie uns noch weitere Beispiele für die heilenden Sieben nennen?
Ja, klar. Nehmen wir die Geruchskulisse. Was häufig falsch gedacht wird, ist, wenn man ins Krankenhaus kommt, ist es doch schön das Restaurant gleich in der Nähe oder am Eingang zu haben. Wir konnten feststellen, dass gerade Menschen, die vor einer Therapie stehen, also hypersensibilisiert sind, wie bei einer Chemotherapie, diese Gerüche extrem stressend wahrnehmen. Im schlimmsten Fall wird ihnen sogar übel noch bevor die Therapie überhaupt begonnen hat.
Das heißt also in der Planung sollte das Restaurant oder die Cafeteria nicht in das Routing, also auf den Weg zu diesen Therapien geplant werden. Das ist mittlerweile ein ganz wichtiges Entwurfsmerkmal, das auch schon zunehmend in Krankenhäusern berücksichtigt wird. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Geräuschkulisse. Auf den Stationen amerikanischer Krankenhäuser wurden teilweise Dezibel gemessen, die einem vorbeifahrenden LKW gleichkamen. Mit Dämmmaterialien, die gleichzeitig für eine angenehme Atmosphäre sorgen, können jedoch sowohl Flure als auch Patientenzimmer ganz anders gedämmt werden, das zum Beispiel wäre ein ganz großer Fortschritt. Allerdings tun sich Hygienekommissionen damit oft noch sehr schwer, dass zum Beispiel in Wartebereichen, in denen sehr viele Menschen zusammen kommen, auch mal mit Teppichboden gearbeitet wird. Andere Länder sind da schon weiter, zum Beispiel das Orbis Krankenhaus in den Niederlanden. Hier findet man sogar auf den Krebsstationen Teppichboden. Nehmen wir noch die Nummer sieben, der heilenden Sieben: das menschliche Maß. In den 70er Jahren wurden vor allem vielstöckige Bettenhäuser, die sogenannten Breitfußtypologien geplant.

Patientinnen und Patienten berichten uns in Interviews „wie erschlagen und verschluckt, verloren und überwältigt“ sie sich von diesen Kolossen fühlen. Das menschliche Maß jedoch besagt, dass Gebäudehöhen, die sich an den Proportionen des menschlichen Körpers und der veränderten Wahrnehmung kranker Menschen orientieren, zur Senkung von Angst und Stress bei den Patientinnen und Patienten beitragen. Man sieht an Beispielen aus Skandinavien und anderen Ländern, dass diese Erkenntnisse aufgegriffen werden und maximal fünfstöckige Gebäude entstehen oder höhere Gebäudeteile so angeordnet sind, dass sie sich der Wahrnehmung entziehen.
Tageslicht in der heilenden Architektur von Krankenhäusern
Sie haben bei den heilenden Sieben auch sogenannte Powerpoints genannt, damit ist das Licht gemeint. Welche Rolle spielt Tageslicht in Gesundheitseinrichtungen und eben auch für die heilende Architektur?
Schon Florence Nightingale, eine britische Krankenschwester des 19. Jahrhunderts, hat gesagt: „ A dark place, is a dirty place“, also wenn es in Krankenhäusern dunkel ist, dann ist das immer ein Hinweis darauf - hier stimmt was nicht und genau das macht Patientinnen und Patienten Angst. Die empirische Forschung hat im Laufe der Jahrhunderte nachgezogen und bewiesen, dass Tageslicht auf ganz viele Prozesse wirken kann. Ein amerikanischer Kollege hat 3 Faktoren beschrieben: Tageslicht wirkt direkt auf unser Sehvermögen, das bedeutet, wir sind abhängig vom Tageslicht, wenn wir uns orientieren wollen. Wenn wir uns nicht orientieren können oder schlecht sehen, dann steigert das Stress und Angst. Tageslicht ist also, bezogen auf Sehen und Sehvermögen, insbesondere wichtig für kranke Menschen. Das zweite ist der physiologisch relevante Tag- und Nachtrhythmus. Man sagt ja: „Schlafen ist die beste Medizin“, und das stimmt auch. Nur wer gut ausgeschlafen ist, heilt auch gut. Die architektonische Einbringung von Tageslicht sollte entsprechend den natürlich angelegten, zirkadianen Rhythmus unterstützen. Das Dritte ist der Hormonhaushalt, denn Tageslicht wirkt, wie man inzwischen weiß, auch antidepressiv, weil es bestimmte Hormone und Neurotransmitter, die bei der Depression eine Rolle spielen, stimuliert.

Gesund durch Licht: Wie Tageslicht zur Genesung beiträgt
Das heißt konkret, Tageslicht trägt wirklich zur Genesung der Menschen bei, egal ob bei psychischen oder physischen Krankheiten?
Absolut, das kann man so sagen, ja.
Und das wurde im Laufe der Zeit mit Sicherheit auch durch viele Studien belegt, oder?
Durch viele Studien aus ganz unterschiedlichen Richtungen wurde das bereits belegt, genau. Nicht nur aus der Architekturpsychologie, sondern auch aus der Medizin und Neuropsychologie. Was mir jedoch auch immer ganz wichtig ist, in diesem Zusammenhang anzumerken, ist, dass gerade in der Lichtgestaltung beachtet werden muss, um welche Patientengruppe es sich genau handelt. Denn es gibt natürlich auch phototoxische Reaktionen. Das bedeutet, dass das Tageslicht das Gegenteil bewirkt und Medikamente in etwas umwandelt, das beispielsweise die Haut oder andere Organe schädigt, sowas kennt man zum Beispiel aus der Chemotherapie. Studien konnten zudem feststellen, dass Patienten, die sich in einer Gesprächssituation mit einem Arzt befanden, diesem weniger Glauben schenkten, wenn dieser vor einer großen Lichtöffnung saß, somit das Gesicht beschattet und die Mimik nicht richtig erkennbar waren. Einem Arzt oder Ärztin, der oder die nicht im Gegenlicht sitzt, wurde mehr geglaubt beziehungsweise vertraut. Vor dem Hintergrund dieser Studie erscheint der Spruch „etwas ins rechte Licht rücken“ erst in seiner ganzen Ernsthaftigkeit. Denn nur wer seinem Arzt glaubt, folgt auch seinen Behandlungsempfehlungen und das entscheidet nicht selten über Leben und Tod.

Tageslicht trifft Architektur
Natürliche Lichtquellen sind in der Architektur ein Muss – egal ob Wohnhaus, Schule, Einkaufszentrum oder Industriehalle. Erfahren Sie hier mehr, wie Tageslicht und Architektur Hand in Hand gehen, um Highlights für Gebäude und Bewohner zu schaffen.
Intelligente Tageslichtnutzung für heilende Architektur
Wie kann Tageslicht Ihrer Meinung nach also in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen oder Altersheimen architektonisch gut eingebunden werden?
Das Wichtigste ist meiner Meinung nach die intuitive Orientierung. An Stellen im Gebäude, an denen ich beispielsweise durch große Fensteröffnungen direktes Tageslicht hinein lasse, entsteht automatisch Aussicht. Wenn ich wiederum Aussicht auf etwas Vertrautes habe, zum Beispiel die Natur, bin ich als Patientin deutlich weniger gestresst. In Wartebereichen jedoch haben Patienten oft das Bedürfnis sich einzuigeln, wollen sich zurückziehen.

Sie schämen sich vielleicht, sind vulnerabel, weil sie durch eine Chemo die Haare verloren haben. Hier sollte bedacht werden, dass der Patient nicht direkt von draußen gesehen werden will. In diesem Fall kann beispielsweise kreativ und einfallsreich durch den Einsatz von Oberlichtern das Tageslicht in den Raum gebracht werden, ohne, dass man den Patienten offenbaren muss.
Kreativität trifft Wissenschaft: Gesunde Architektur für Kinder und Jugendliche
Das heißt, Kreativität spielt auch bei der architektonischen Gestaltung von Gesundheitseinrichtungen eine große Rolle?
Kreativität spielt absolut eine große Rolle. Mein Kredo ist: Wissenschaft beflügelt Kreativität! Als Beispiel: wir haben die Architekturkonzepte für die neue Kinder- und Jugendklinik in Freiburg entwickelt und dabei viel mit der wissenschaftlichen Erkenntnis gearbeitet, dass bei Kindern Ablenkung gegen Ängste und Schmerzen wirkt. Die Angst der kleinen Patienten macht ihre Versorgung nämlich sehr behandlungsintensiv und zeitaufwendig, wenn sie sich gegen eine Behandlung wehren. Wir haben also versucht, die Kinder mit bestimmten, gerichteten Tageslichtquellen abzulenken. Dabei trifft das Tageslicht auf reflektorische Objekte und Farben, beispielsweise Mobile, Wandmalereien oder Traumbäume. So entsteht natürliche Bewegung auf den Oberflächen und Lebendigkeit im Raum, wodurch Ablenkung ganz herrlich funktioniert.
Fehler in der Krankenhaus Architektur
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Fehler, die heutzutage nach wie vor in der Architektur von Gesundheitseinrichtungen gemacht werden?

Ich finde, dass in der Krankenhausarchitektur leider eine gewisse Einfallslosigkeit Einzug gefunden hat. Irgendwann war mal klar, ja, Tageslicht ist wichtig. Wie bringen wir Tageslicht ins Gebäude? - klar durch Scheiben! Und die Scheiben werden immer größer, die Fassadenöffnung immer breiter. Aber, wie ich bereits erwähnt habe, ist Tageslicht ein Spielelement, das kann von oben kommen, von unten, nur in kleinen Streifen, in kleinen Portionen und spielerisch eingesetzt werden, was sicherlich hilfreicher wäre. Also da wird meiner Meinung nach noch einiges falsch gemacht. Deshalb propagiere ich ja auch die Phase 0. Für große Häuser werden in der Regel Wettbewerbe ausgeschrieben oder Vergaben der Projekte angesetzt.
Die Architekturbüros haben dann meist nur drei Monate Zeit das ganze Haus, bis hin zur Technik, zu entwerfen. Da bleibt doch überhaupt keine Zeit mal eine Studie zu lesen, wissenschaftliche Erkenntnisse in Räume umzudeuten oder Nutzer anzuhören, um diese grundlegenden Informationen in etwas Kreatives zu verwandeln und sich mit wichtigen Fragen auseinanderzusetzen, wie zum Beispiel: In welchen Bereichen ist es besonders wichtig und wirksam, ein Fensterspiel in die Fassaden oder Decke einzubringen und in welchen Bereichen ist es besser, das Gegenteil, also Reizfreiheit, zu realisieren. Für den Planungsprozess der Krankenhäuser ist meiner Meinung nach eine interdisziplinäre Planung und vor allem mehr Zeit unfassbar wichtig. Mit genannter Phase 0 gibt es die große Chance, ein Jahr dazu zu gewinnen. Und das Beste ist, die Phase 0 wird inzwischen sogar gefördert, um sogenannte qualitative Raumkonzepte zu entwickeln.
Heilende Architektur im internationalen Vergleich
In vielen europäischen Ländern, wie den Niederlanden, ist heilende Architektur hinreichend bekannt. Wieso ist Deutschland in diesem Punkt noch so rückständig?
Also der Krankenhausbau hierzulande ist wirklich ein Politikum. Die Architektur oder überhaupt die Erkenntnis, dass wissenschaftlich nachweisbare Faktoren der Architektur zur Heilung kranker Menschen beitragen kann, spielt hier einfach aktuell noch keine große Rolle. Mit der Münchner Ausstellung schaffen wir erstmals ein breiflächiges Bewusstsein für diese Thematik. In den letzten Jahren wurden Lehrstühle zum Krankenhausbau in Deutschland abgebaut, während andere Länder aufrüsten und der jungen Generation als Entwerfende eben gerade diese Typologie Krankenhaus oder Gesundheitseinrichtungen, Pflegeheime etc. näher bringen. Ihnen also eine kreative Aufgabe geben, die mit dem sinnvollen Ziel „heilen zu helfen“, verknüpft ist, anstatt sich vorwiegend um Museen oder Luxusvillen zu kümmern. Tatsächlich sehe ich, aber auch Frau Koppen an ihrem Lehrstuhl für Entwerfen und Gesundheit in Coburg, dass die jungen Menschen vermehrt auf der Suche sind, nach sinnvollen Entwurfsaufgaben, aber das Handwerkszeug, die Architekturpsychologie im Gesundheitsbau, wurde ihnen leider bisher nicht ausreichend vermittelt. In kleineren Ländern wie den Niederlanden, ist es anders: Wenn da so ein Impuls kommt wie „Healing Architecture“, wird dieser ganz schnell aufgegriffen und eben auch mal ausprobiert. Wir in Deutschland haben da irgendwie eine größere Trägheit und Bedenkentum, ganz zu schweigen von starren Strukturen – sowohl an den Unis als auch in den Planungsprozessen öffentlicher Bauten im Gesundheitswesen. Darüber hinaus gibt es hierzulande noch viel zu wenig Forschungsförderung für den Bereich der Architekturpsychologie. Die Rotterdam Studie hätte auch München Studie heißen können, doch wurden wir seinerzeit mit unserem Anliegen „Faktoren für eine heilende Architektur zu suchen“ hierzulande von Geldgebern nicht wirklich ernst genommen. Gott sei Dank hat sich das inzwischen geändert (lacht).

Krankenhäuser der Zukunft
In modernen Klinikbauten spielt Tageslicht eine zentrale Rolle: für das Wohlbefinden, die Orientierung und den Heilungsverlauf. Wie Krankenhausarchitektur in Dänemark gedacht wird und wie LAMILUX Oberlichter dazu beitragen, Krankenhäuser nicht nur funktional, sondern auch menschlich zu gestalten, zeigt dieser Artikel.
Gesunde Architektur als Herzensangelegenheit
Sie haben bereits Bücher über das Thema heilende Architektur veröffentlicht, Sie wollen in Ausstellungen in Deutschland und Österreich auf das Thema aufmerksam machen und sensibilisieren. Wieso ist Ihnen heilende Architektur so wichtig?
Ich finde es einen großen Missstand, dass man Erkenntnisse darüber, dass gebaute Umwelt einen positiven Einfluss auf kranke Menschen ausübt, nicht in die Gestaltung und Planung von Gesundheitseinrichtungen aufnimmt. Ich bin ganz ehrlich, ich finde das ist ein nicht haltbarer Zustand!
Mit sehr viel Leidenschaft setze ich mich dafür ein, dass sich das in Zukunft ändert. Ich habe selbst sehr, sehr lange als klinische Psychologin in Krankenhäusern gearbeitet und gesehen, was mit gebauter Umwelt erreicht werden oder eben auch schief gehen kann. Wenn ich beispielsweise damals Schwerstkranke in den Patientengarten in Großhadern mitgenommen habe, dann brauchte ich nur 5 Minuten für das psychotherapeutische Eröffnungsgespräch und schon wurde mir alles darüber erzählt, wo den Patienten genau der Schuh drückt. War ich mit den kranken Personen jedoch im Inneren des Gebäudes, dann brauchte ich teilweise zwei bis drei Therapiestunden, bis ich überhaupt in die Nähe der relevanten Punkte gekommen bin. Diese frühen Erlebnisse haben mich sehr geprägt und motiviert als junge Wissenschaftlerin über den Einfluss von Architektur auf die Wahrnehmung der Kranken zu forschen.
Als ich dann erlebte, dass meine Patientinnen, die ich in einem ersten Experiment in Sprechzimmern ohne Tageslicht interviewte, doppelt so viele Panikattacken bekamen, als in Sprechzimmern mit Tageslicht, war ich der festen Überzeugung, dass die Idee von einer Heilenden Architektur eine beweisbare Zukunft werden sollte. Blicken wir in die Vergangenheit, dann können wir sie sogar sehen: Im alten Griechenland beispielsweise, wurden Kranke bereits in Gebäudeensemble gebracht, die Kunst und Theater, Sonnenterassen und Heilbäder, Gärten und Sportanlagen vorhielten. Hier glaubte man an die Heilkräfte der Baukunst. Ich versuche, diese zu beweisen.

Visionäre Krankenhaus Architektur: Ein Blick in die Zukunft
Wie sollte Ihrer Meinung nach die Architektur von Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen der Zukunft aussehen? Was würden Sie sich wünschen
Ach ja, das ist natürlich eine schwere Frage, weil ich lasse mich selber auch gerne überraschen.
Was ich mir wünschen würde, ist, dass wir eine neue Ästhetik der Krankenhausarchitektur bekommen und zwar eine, die sich nicht mehr an der Wahrnehmung der Gesunden orientiert, sondern an der, der kranken Menschen. Also derer, die verletzt und verletzlich sind, Ängste und Schmerzen haben, verzweifelt und gestresst sind. Wenn man schwer krank ist, verändert sich nämlich etwas im „Inneren“, was man sich als gesunder Mensch so gar nicht vorstellen kann. Wenn wir als Entwerfende auf diese Veränderungen zukünftig stärker eingehen und dabei die wissenschaftlichen Erkenntnisse nutzen, wird es, glaube ich, in Zukunft zu einer anderen Ästhetik von Gesundheitseinrichtungen kommen! Ich wünsche es mir sehr und werde natürlich weiter daran mitarbeiten!